Siehe auch Stammbaum von Bruno Rönsch und Bertha Baumann.
Hierbei handelt es sich um die aus Schlesien stammenden Vorfahren mütterlicherseits. Die Angaben sind lückenhaft und zeitlich begrenzt,
weil viele ostdeutsche Archive im Krieg vernichtet wurden und bei der Flucht und Vertreibung nur wenige Habseligkeiten gerettet werden konnten. Das
Meiste ist daher mündlich überliefert von meiner Mutter, Erika Rönsch, verh. Reble und meiner Großmutter Bertha Baumann, verh. Rönsch.
Schlesien, das Land zwischen Sudeten und der polnischen Tiefebene durchlebt in der Mitte Europas eine wechselvolle Geschichte. Um das Jahr 1000 gehört es zum polnischen Königreich, wird später habsburgisch und 1742, am Ende des ersten Schlesischen Krieges, preußische Provinz. Bei Preußen verbleibt es auch nach dem zweiten und dritten Schlesischen Krieg.
Die Heimat meiner Vorfahren ist Niederschlesien. Im Kreis Bunzlau wurden sie geboren, in den Dörfern Oberschönfeld und Neundorf, am kleinen Bober, der 5 km weiter in den großen Bober fließt und anschließend in die Oder.
Das Land ist fruchtbar. Es herrscht kontinentales Klima, mit heißen Sommern und kalten, schneereichen Wintern. Die Menschen sind fleißig und sparsam. Das Nationalgericht besteht aus Mehlklößen mit Backobst und ausgelassenem Speck und heißt
Alle Voraussetzungen für ein glückliches Leben zwischen Himmel und Erde scheinen somit gegeben zu sein. Und doch kommt alles
ganz anders.
Ernst Baumann (1821-1899) stammt aus einer
Gutsherrenfamilie, der ursprünglich halb Neundorf gehörte. Durch
Erbfolgeteilung verbleiben ca. 100 ha. Die Familie ist immerhin noch
so reich, dass die Kinder Privatunterricht bekommen und nicht in die Dorfschule
müssen, denn Sohn Robert kann es sich leisten - hoch zu Ross - dem
Schulmeister eine "lange Nase" zu machen.
Robert Baumann (1851-1913) übernimmt ein Anwesen von ca. 35 ha. Aus der ersten Ehe entstammen 8 Kinder, davon 4
Mädchen, die alle hintereinander im jugendlichen Alter an Diphtherie sterben.
In zweiter Ehe mit Pauline Starke (1868-1953), kommen noch 8 Kinder hinzu.
Das nebenstehende Foto wurde 1948 in Kiel aufgenommen.
Als Robert 1911 vom Langholzfahren aus dem Sägewerk zurückkommt, sieht er aus der Ferne ein Feuer und fragt einen entgegenkommenden Radfahrer, wo es brennt ? „Na, bei dir !“ ist die Antwort. Als er in rasender Eile zu Hause ankommt, ist bereits alles niedergebrannt und die Familie konnte nur das nackte Leben retten. Aus Kummer über diesen Schicksalsschlag - das Haus war nicht versichert - wird Robert krank und stirbt später.
Seine Frau Pauline muss in Nachbarschaftshilfe das Haus wieder aufbauen und 8 unmündige Kinder durchbringen. Die Stiefkinder waren bereits groß oder gestorben. Pauline meistert ihr schweres Los. Alle Kinder lernen einen Beruf und als in den dreißiger Jahren das Haus erneut niederbrennt, ist der größte Schaden durch eine Feuerversicherung abgedeckt.
August Rönsch (1854-1928) wird 1854 in Oberschönfeld geboren. Er erlernt das Maurerhandwerk und heiratet Emilie Kullmann aus Klein-Gollnisch. Man bewohnt eine armselige Hütte mit Strohdach und Ziegelfußboden. Drei Kinder werden geboren. Die gesamte Familie schläft auf Strohsäcken in einem einzigen, kleinen Zimmer.
Zum Haus gehören 1½ ha Land und etwa 1 ha Wald. Zuständig für die Bearbeitung des Landes ist Ehefrau Emilie, die vom Ertrag die Familie durchzubringen muss; ausgestattet mit 1-2 Kühen, etlichen Hühnern und Gänsen und zwei Schweinen. Ein Schwein wird jeweils verkauft, das andere nach und nach gegessen. Zur Konservierung wird es mit Salzlauge eingepökelt und in einer Zementwanne aufbewahrt.
Das Getreide wird mit der Sense gemäht und eigenhändig ausgedroschen. Das Mahlen besorgt allerdings ein Müller in der nahe gelegenen Wassermühle. Als Lohn erhält er dafür einen Teil des gewonnenen Mehls. Anschließend wird aus dem Mehl im eigenen Backofen ein herzhaftes Brot gebacken. Mit diesen Arbeiten muss Ehefrau Emilie die Familie eigenständig unterhalten, denn sie erhält keinen Pfennig Kostgeld.
Währenddessen arbeitet August im Sommer als Maurer rund 14 Stunden am Tag, d.h. von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang. Der gesamte überschüssige Verdienst wandert in den berühmten „Sparstrumpf“ unter dem Kopfkissen. Sein persönlicher Besitz: Ein Sonntagsanzug und ein Paar stabile Lederschuhe.
Emilie hingegen besitzt lediglich primitive Holzpantinen und aus Säcken zusammengenähte Alltagskleidung. Als die Söhne heiraten kann sie nicht an der Hochzeit teilnehmen, weil sie nichts anzuziehen hat. Sie stirbt am 7.6.1927 bei der Heuernte an den Folgen eines Insektenstiches, weil der Dorfarzt nicht schnell genug zur Stelle sein konnte.
Ehemann August stirbt ein Jahr später an Magenkrebs; weniger
aus Kummer über das Schicksal seiner Ehefrau, sondern eher des Geldes
wegen. Durch jahrelangen Geiz hatte er bis zum Jahre 1923 insgesamt 25.000
Goldmark zusammengespart, bis ihm dann innerhalb weniger Monate alles durch
die Inflation hinweggerafft wird.
Der Kummer über diesen Verlust lässt ihn verzweifeln und gesundheitlich dahinsiechen. Seine letzten Worte am 28.9.1928 sind:
„Mein schönes Geld !“
Nach der Beerdigung wird alles „brüderlich“ durch 3 Teile geteilt:
Die geringsten Probleme bereitet das neue Geld, was seit der Inflation
schon wieder zusammengespart wurde. Problematischer wird es beim häuslichen
Nachlass, der Teller für Teller und Tasse für Tasse auseinanderdividiert
wird. Am Ende bleibt ein Bettlaken übrig. Es wird in drei Teile zerrissen,
um so der Gerechtigkeit (oder dem klein karierten Geiz) zum Sieg zu verhelfen.
Bruno Rönsch, geb. am 7.1.1888, kauft 1919 das Grundstück von August Rönsch. Die Eltern verbleiben im Altenteil und für die junge Familie wird ein neues Gebäude errichtet: mit festen Mauern, Holzboden und Ziegeldach.
Die Familientradition wird beibehalten: d.h. der Mann legt alle Einnahmen aus seiner Berufstätigkeit auf die hohe Kante; allerdings mit dem Fortschritt, dass das Geld nicht mehr in den Strumpf oder unter die Matratze wandert, sondern auf ein Sparkassenkonto.
Währenddessen muss sich die Frau um Haushalt und Landwirtschaft kümmern und ohne einen Pfennig Kostgeld die Familie durchbringen. Bertha meistert diese Situation, indem sie alle Überschüsse gnadenlos verkauft.
Aus einer bescheidenen Erbschaft kann sie ein Fahrrad erstehen. Damit wird alles, was nicht unbedingt lebensnotwendig ist, zum Wochenmarkt ins 6 km entfernte Bunzlau gefahren und dort für gutes Geld verhökert: Eier, Butter, Blaubeeren, Champignons, Steinpilze, Gurken, Schnittlauch und Blumen.
Währenddessen kann Bruno Rönsch ein kleines Vermögen zusammensparen und so den Grundstein legen für eine eigene Baufirma.
Die Geschäfte laufen zunächst schlecht, weil in der Weltwirtschaftskrise von 1929-1933 Geld und Aufträge äußerst knapp sind.
Ab 1933 kommt die Weltwirtschaft langsam wieder auf Touren. In Deutschland wird dieser Prozess noch zusätzlich beschleunigt. Dafür sorgt ein gigantisches Aufrüstungsprogramm der Nazis, die am 30.Januar 1933 mit Hilfe der Großindustrie an die Macht kommen.
Die Flicks, Krupps und Thyssens, die zuvor mit großzügigen Spenden in Millionenhöhe die Nazi-Partei hochgepäppelt haben, sie können jetzt die Ernte einfahren: Die Rüstungsausgaben steigen sprunghaft von 2 % des Volkseinkommens in 1932 auf 32 % bis 1938. Die Gewinne der Großen explodieren, zumal gleichzeitig die freien Gewerkschaften zerschlagen und die Löhne auf unterstem Niveau niedrig gehalten werden.
Politisch abgesichert wird die Nazi-Diktatur durch ein raffiniert arrangiertes Wechselspiel von brutaler Macht und wirtschaftlichen Zugeständnissen. Arbeitslose verschwinden über Nacht von der Straße und werden für den Straßenbau und andere „Regulierungsmaßnahmen“ eingesetzt. Hochverschuldete Bauern werden staatlich „entschuldet“. Arbeiter können plötzlich Urlaub im Mittelmeer oder in der Karibik machen: durch geschickt inszenierte Spektakel von "Kraft-durch-Freude“.
Und wer sich von der Propagandaflut nicht täuschen lässt und hartnäckig darauf besteht, dass diese Maßnahmen nur der
Kriegsvorbereitung dienen, muss damit rechnen, in den Folterkellern der GESTAPO gequält und in Konzentrationslagern eingekerkert oder ermordet zu werden.
Im Sog des wirtschaftlichen Aufschwungs werden auch viele Kleinbetriebe mitgezogen, z.B. das Bauunternehmen Rönsch, das bis Kriegsbeginn seine Belegschaft auf 10 Leute erhöhen kann.
Obwohl die Familie wirtschaftlich nicht schlecht dasteht, ist die Sympathie gegenüber den Nazis und ihren Organisationen stark unterkühlt, insbesondere ab Kriegsbeginn 1939. Sohn Fritz kann z.B. die Bauschule nicht mit einem Diplom abschließen, weil er sich weigert, der national-sozialistischen Studentenschaft beizutreten.
1942 wird das erste Radio, ein "Volksempfänger“ angeschafft. Nun ist man nicht mehr allein der Nazi-Propaganda ausgeliefert und kann das deutschsprachige Programm des englischen Rundfunks empfangen. Und diese Nachrichten berichten ab 1943 über eine von Tag zu Tag näher rückende Front.
Foto: Keystone. Der Engel auf dem Dresdner Rathausturm schaut auf die zerbombte Stadt.
Haften geblieben im Gedächtnis von Erika sind aus dieser Zeit vor allem sinnlose Zerstörungen und Grausamkeiten der heranrückenden Sowjetarmee gegenüber der Zivilbevölkerung. Wobei die Alliierten den Sowjets in keiner Beziehung nachstehen: Am 14. Februar 1945 wird durch einen anglo-amerikanischen Luftangriff die mit Flüchtlingen voll gestopfte Stadt Dresden dem Erdboden gleichgemacht und über 35.000 Menschen krepieren in dem brennenden Inferno.
Man muss allerdings bedenken, dass es sich bei diesen Vergeltungsschlägen und Übergriffen um Gegenreaktionen handelt. Es ist die Erwiderung auf den Terror, der zuvor auf Befehl Hitlers an den Völkern Europas verübt wurde: der Holocaust, die Massenhinrichtungen in den besetzten Gebieten, die Taktik der verbrannten Erde und all die anderen Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Jetzt schlägt das Pendel zurück und trifft nach der brutalen Logik des Krieges Schuldige und Unschuldige.
Foto: Familie Rönsch um 1940: v.l.n.r: Fritz, Bruno, Bertha und Erika
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