Wie Gott in Frankreich
Medoc-Marathon

47 Marathonfreunde fahren mit dem Bus nach Bordeaux und leben dort 5 Tage wie „Gott in Frankreich". Sie sind vom Lauftreff Paffrath, aus dem Städte-Dreieck Köln, Bergisch-Gladbach, Leverkusen, sowie mitfahrende Gäste; hier ihr Bericht:

Sur le course, on y dance...

Man lacht, singt und trinkt. Man schunkelt, tanzt und amüsiert sich. Nein, die Rede ist nicht vom Karneval, sondern von einem Marathonlauf in Pauillac, der Hauptstadt des Médoc, 50 km nördlich von Bordeaux.

Anfang September versammeln sich hier die sportlichen Jecken aus aller Welt, um ein großes Fest zu feiern, ein Fest der Lebensfreude, der Freundschaft und der internationalen Begegnung.

Bereits am Morgen formiert sich an der Uferpromenade von Pauillac ein bunter Zug von Aktiven. Korken knallen, Konfetti regnet herab, Orchester blasen zum Countdown, und auf drei Bühnen verwandeln Aktionskünstler mit wuchtigen Pinselhieben weiße Leinwand in Kunst. Jetzt fehlt nur noch der Ruf : „Kamelle, dä Zoch kütt!"... und man könnte meinen, es wäre Rosenmontag am Rhein.

Doch hier in Frankreich sagt man: On y va ! Auf geht’s ! 42.195 Meter durch die Weinberge, vorbei an klangvollen Chateaux, die ihre köstlichen Produkte anbieten, darunter namhafte Grands Crus du Médoc. Einigen von uns läuft bereits jetzt das Wasser über die ... Zunge.

7 Fässer Wein können uns nicht gefährlich sein

Nach dieser Devise haben wir uns gewissenhaft und intensiv auf die große Bewährungsprobe vorbereitet. Um uns herum eine Stimmung wie bei der TOUR DE FRANCE. Dicht gedrängt die Zuschauer.  A votre service ...Neben uns Asterix, Obelix und andere Gallier, Wikinger, Pharaonen, Gott Bacchus inmitten seiner Bacchantinnen, Bären, Büffel, Bullen, auch entlaufene Sträflinge, Frankenstein verfolgt von King-Kong, eine fahrbare Guillotine, ein trojanisches Pferd, Nonnen und Leichtbeschürzte ... und jede Menge Clowns, soweit das Auge reicht.

Wo sind die Berge ?

Wein ohne Berge, das klingt genauso paradox, wie Rhein ohne Wasser.

Und doch: Im Médoc ist die Landschaft flach wie eine Fischpfanne à la bordelaise, wobei hier und da einige sanfte Hügel das Profil etwas auflockern. Trotzdem wächst in dieser Region der hochkarätigste Rotwein der Welt, denn die äußeren Bedingungen sind ideal:
· ein karger, kieselhaltiger Boden, der den Wein vor Nässe schützt;
· mineralstoffreiche Unterschichten, aus denen sich die Wurzeln die benötigte Nahrung holen;
· ein ausgeglichenes, mildes Klima mit viel Sonne;
· und nicht zuletzt eines der schärfsten Weingesetze der Welt, das den Erzeugern von Qualitätsweinen eine strikte Ertragsbegrenzung pro Hektar vorschreibt - und das nicht nur auf dem Papier.

Das Resultat kann sich sehen lassen: Statt wässeriger Massenware, ein hochwertiger Spitzenwein, der allerdings vom Preis her kein Billigprodukt sein kann.

 Consommez avec modération !

Was halten die Franzosen eigentlich davon, dass bei einer Sportveranstaltung Alkohol ausgeschenkt wird? Vier von fünf finden dies unbedenklich; und das völlig zu recht, denn es werden nur geringe Mengen angeboten und selbst diese müssen nicht bis auf den letzten Tropfen ausgetrunken werden.

C'est le pied... Eine Weinprobe kann auch ohne Alkoholkonsum ablaufen, denn benötigt wird lediglich


Wein und Marathon - das wird an dieser Stelle deutlich - haben einen gemeinsamen Nenner: die Phantasie.

Die Lust am Laufen, sie entsteht im Kopf; und die Freude am Wein besteht nicht aus dem Konsum von biochemischen Inhaltsstoffen, sondern aus der Vorstellungskraft, die sich an kleinsten Duft- und Geschmacksnuancen entzündet: z.B. der zarte Schmelz von Pflaume und Vanille, beim Probieren des 94iger LAFITE ROTHSCHILD bei km 22.

Auf sanften Schwingen entführt er uns in das Glück unbeschwerter Kindertage und lässt uns mit der Leichtigkeit einer Feder dahinschweben ...   If I had a hammer...bis urplötzlich der Mann mit dem Hammer
auftaucht. Mit wuchtigen Schlägen holt er uns zurück auf den Boden der Realität.
 
Austern und Champagner

Gut, dass es bei km 38 noch eine wohlverdiente Stärkung gibt: frische Austern aus Arcachon mit einem Gläschen Champagner. A la santé !

Wahrhaftig, ein Marathon der Superlative:
der längste der Welt, so wird gerne mit einem Augenzwinkern verkündet, weil angeblich viele die Ideallinie nicht mehr finden und im Zickzack von Chateau zu Chateau wieseln; ganz sicher aber der lustigste und verrückteste, wegen der vielen bunten Verkleidungen und der tollen Stimmung.

Und am Abend wird gefeiert, entweder in Pauillac bei der Fete SANS PATTES (ohne Füße) mit Musik und Feuerwerk, oder - in unserem Falle - in einem gemütlichen Fischrestaurant in Bordeaux.

Als sportlicher Degustatif erwartet uns am nächsten Morgen eine weitere Herausforderung. „La balade du Haut-Médoc", ein 12 km Kurs durch namhafte Weingüter nordwestlich von Pauillac, wobei man das Wort „balade" am besten mit Spaziergang übersetzt.

An diesem Morgen starten 10 Weine. Sieger wird ein kraftvoll, frischer PONTOISE CABARRUS, Jg. 1994, der schon jetzt eine erstaunliche Komplexität aufweist, aber noch einige Jahre benötigt, bis sich aus dem vormals kratzigen Raubein ein eleganter Grandseigneur entwickelt hat.
 
Der Médoc-Marathon in Zahlen
Start : An einem Samstag Anfang bis Mitte September,  9:30 h in Pauillac. 
Teilnehmer: 7.500 (limitiert), davon ca. 90 % Finisher, 60 % verkleidet, 16 % Frauen, 14 % Ausländer, 5 % Deutsche. 
An der Strecke zahllose engagierte Helfer und begeisterte Zuschauer,
50 Orchester, 49 Weingüter, 22 Degustationsstände. 
Das Wetter: meist sommerlich warm, mit einer frischen Brise. 

Erstveröffentlichung im Lauf-Magazin SPRIDON 10-97.
Zuletzt aktualisiert am 22. Januar 2016 von bruno{bei}reble.net

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Degustation von Medoc-Weinen
ohne Marathon Hektik bei ~~~>