Neckermann macht's möglich: Zum Greifen nahe liegt es vor mir, genau gegenüber von meinem Hotelbalkon. Kein Phantasiegebilde, keine Fata Morgana, sondern ein real existierender Beherbergungskomplex, auf dessen Dach mit weithin sichtbaren Lettern verkündet wird: PARAISO DE ALCUDIA.
Und das Ganze wird eingerahmt von einer wunderschönen Badebucht an der Nordspitze von Mallorca, über der mit erstaunlicher Regelmäßigkeit die Sonne aufgeht, siebenmal die Woche.
Doch Vorsicht auf dem Weg ins PARAISO ! Vorher muss noch die Küstenstrasse C712 überquert werden, auf der unüberhörbar all das herangedröhnt wird, was moderne Paradiese heutzutage benötigen; einschließlich der Kohle für ein im Hinterland in die Sümpfe gestampftes Kraftwerk, was die halbe Insel mit Strom versorgt.
Und Strom ist die Basis unseres Daseins und somit auch des Glücks, das auf Mallorca angeblich jeder findet, ob Kegler oder Künstler, Promi oder Prolo, Rentner oder Radler, nur einer nicht: der Kranke ... der sich kurz vor Antritt der Reise noch eine handfeste Bronchitis eingefangen hat.
Für ihn ist die Sonne kein wärmender Lebensspender, sondern ein heimtückischer UV-Radiator. Die leckere Paella schmeckt, als wenn sich zuvor schon jemand dran versucht hätte. Der vollmundige RIOJA kratzt in der Kehle und mundet wie ein 1,95-Roter von ALDI im praktischen Stapelkarton. Der graumelierte, weltoffene Lebemann vom Nebentisch ist ein primitiv-ordinärer Neckermann-Prolo und die adrette Sportlerin mit Charme und Esprit in Wirklichkeit eine versoffene Schlampe, die den Fress-Teller nicht voll genug kriegen kann.
Tagsüber beim Wandern fühlt man sich genervt von den vielen Metallgitterzäunen, den stacheldrahtumkränzten Mauern und den viersprachigen Schildern: "Vorsicht bissiger Hund", mit dem die neureiche Geldaristokratie ihre Besitztümer abriegelt.
Und nachts, wenn die Sterne funkeln, „schleicht sich tiefes Glück in die Seele“ (laut Reisemagazin GEO 3/97) ... oder zwei Wachskügelchen mit dem schönen Namen OHROPAX - Friede den Ohren.
Aber vielleicht sind Schriftsteller auf dieser Insel öfter verschnupft und neigen dadurch zur Übertreibung. Die Engländerin George Sand zum Beispiel, schrieb sich mit ihrem Roman „Ein Winter in Mallorca“ den Frust von der Seele. 1838/39 überwinterte sie mit ihrem Promi-Geliebten Chopin in der südlichen Tramuntana und schildert den Mallorquiner als einen egoistischen Gockel, die Mallorqinerin als eine dumme Pute. Das Essen ist der letzte Mist und die Rotweine „derb und dunkelfarbig, (sie) brennen auf der Zunge und sind so schädlich ..., dass wir fast immer Wasser tranken.“ Mit diesem herzerfrischenden Inselporträt machte sie den Flecken Valldemosa weltbekannt.
Letztlich aber fühlen alle sich fasziniert von der wilden Schönheit Mallorcas, so auch George Sand: „Die Kartause war so schön unter ihren Efeuranken, das Tal so wundervoll in seiner Blütenpracht, die Luft so rein in unseren Bergen, das Meer so blau am Horizont. Und ich hatte kaum etwas davon gehabt“, schreibt sie am Ende ihres Buches.
So hat alles einmal ein Ende - nur nicht diese gottverdammte Bronchitis. Aber immerhin bin ich die letzten zwei Tage bereits wieder so fit, um mit Hilfe eines geliehenen „Gurkenfahrrads“ den Aktionsradius erheblich auszuweiten: von der Schnecke zur Schildkröte, gemächlich die Hügel hochschiebend und von aufmunternden OLA-Rufen begleitet, wenn die Genussfahrergruppe aus dem Altersheim FIDELIO im flotten Tempo vorbeizischt.
Und am Freitag, wenn der Flieger die graue Wolkendecke von Düsseldorf durchstößt
und kalter Nieselregen mir entgegenschlägt, werde ich ein munteres
Liedchen pfeifen und mit federnden Schritten wie ein junges Pferd nach
Hause tänzeln ... oder vielleicht eher wie ein alter Esel?