Kein Preis ohne Schweiß. In London muss noch etwas mehr hinzu kommen, nämlich Losglück. 80.000 waren es, die sich für 1995 beworben hatten und nur 37.500 konnten Ende 1994 ein Couvert öffnen mit der freudigen Mitteilung:
Einer dieser Lotto-Könige war der Schreiber dieser Zeilen. Zwar hätte er es als Ausländer auch einfacher haben können, wenn er auf ein Koppelgeschäft eingegangen wäre und über ein Reisebüro gebucht hätte. Dann wäre die Marathonteilnahme garantiert gewesen, einschließlich Flug und 2x Hotelunterkunft.
Aber warum in ein Touristensilo, wenn’s auch anders geht. Wir waren bei Freunden eingeladen in einem typischen Vorstadt-Reihenhäuschen. Und statt mit Fotoknipse den Trafalgar Sqare abzulatschen und das typische Sight-Seeing-Programm abzuspulen, hatten wir so die große Chance in das wirkliche Leben einzutauchen mit kulinarischen Zwischenstationen in Irland, China und Zypern. Thank you, Sandy and Chris, it was great !
Das Wetter: 3 Tage Sonnenschein. Und das nach endlosen nasskalten Wintermonaten. Wer da nicht happy ist, dem ist nicht mehr zu helfen.
Für die Volksläufer fast ein wenig zu heiß, insbesondere für die, die allzu kostümiert ins Rennen gehen. Da ist ein leichtes Hasenkostüm mit langen, weißen Ohren gerade noch zu verkraften und man ist auch für die zahlreichen Fans besser auszumachen.
Startbereich ist der Süd-Osten von London: Auf einem Hügel in BLACKHEATH sind über 30.000 Runner versammelt, plus Anhang. Man kommt sich vor wie in einer gigantischen Schleuse. Um 9 Uhr wird ein erstes Schleusentor für die schnellen Frauen geöffnet; danach ein weiteres für die Rollis. Und um 9 Uhr 30 schließlich ergießt sich der Strom der Massen über abfließende Kanäle Richtung Themse.
Ich starte vorsichtig und verhalten ganz am Ende. Ein leichtes Ziehen in der rückseitigen Hüfte - hervorgerufen durch den hinterhältigen "Schuss einer Hexe" - mahnt zur Vorsicht. Aber ärztliche Spritzkunst und eine Rückenmassage haben den Schmerzteufel namens LUMBAGO im letzten Moment zur Aufgabe bewogen.
Es herrscht eine ausgelassene Stimmung wie beim Rosenmontagszug in Düsseldorf. Mit meinen weißen Hasenohren bin ich weithin sichtbar, sehr zur Freude der vielen Kinder: "Hey, Mister Bunny, go go, go!"
Bei km 10 in GREENWICH nähern wir uns der Themse und umrunden die CUTTY SARK, einstmals der schnellste und berühmteste Teeklipper, heute Museum.
Am Straßenrand Rock-Musik live. Eine Band hämmert "Mustang Sally". Wow ! Stampfende Hufe, wuchtige Schenkel. Vor mir eine Läuferin in knappen Radlerhosen. Go Sally, go !
Bei km 20 überqueren wir die Themse über die legendäre TOWER-BRIDGE und nähern uns den DOCKLANDS.
Vom ehemaligen Hafen ist nichts mehr übrig geblieben. Die Abrissbagger haben ganze Arbeit geleistet. Metall und Glas dominieren jetzt das Bild: glitzernde Bürofassaden und Luxusresidenzen für die YUPPIES, die young urban porfessionals, für die sogar ein eigener Flughafen CITY AIRPORT (ganz in der Nähe) angelegt wurde.
Die Stimmung bei den Geldprofis ist allerdings seit dem Abgang von THATCHER etwas gedämpft. Ihr Aushängeschild CANARY WHARF, Symbol des brutalen Ellenbogen-Kapitalismus - und bis zur Errichtung des Frankfurter Messeturms das höchste Bürogebäude Europas, steht fast leer und ist vom Konkurs bedroht.
Auch bei vielen Volksläufern neigt sich das Konditionsbarometer nach unten. Viele müssen der Hitze Tribut zollen und können sich nur noch gehend vorwärts bewegen.
Jetzt schlägt die Stunde derjenigen, die am Anfang Kraft gespart haben. Wie ein geölter Blitz schieße ich durch die Reihen, Haken schlagend und mit Sonderbeifall belohnt.
Bei km 35 passieren wir den TOWER of LONDON. Früher waltete hier der Scharfrichter seines Amtes. Heute ist es jedoch der "Mann mit dem Hammer", der erbarmungslos auf die Beine eindrischt.
Noch 7 km: Auf der UPPER THAMES STREET durchqueren wir die CITY, Herz der Börsenmakler und Finanzmagnaten, und auch heute noch das größte Finanzzentrum der Welt.
Schon ist der BIG BEN mit den HOUSES of PARLIAMENT in Sicht: der BUCKINGHAM PALAST - "God shave the Queen" - und das Zielband auf der Paradestraße THE MALL.
Eine Lautsprecherstimme schallt mir entgegen: "already one minute until the 4 h 30 limit !" Ein fulminanter Schlussspurt ist die Antwort. "Hey bunny", tönt es mir da entgegen, "I said one minute and not ten seconds!"
Das Höchste der Gefühle wäre jetzt eine warme Dusche, doch daran ist bei dieser Massenankunft nicht zu denken. Und so beendet eine Katzenwäsche mit einer Flasche AQUA PURA und ein anschließendes Sonnenbad im St.James Park einen Lauf der Superlative.