Barcelona '92

Ein Erlebnismarathon mit viel Gaudí

Über den Wolken...Maratonis sind bekanntlich keine Asketen, obschon ihr Drang zum Konsum deutlich unter dem statistischen Durchschnitt liegt - zumindest bei Schnaps und Zigaretten.

Was liegt näher, als die derart eingesparten Moneten für eine sinnvolle Alternative auszugeben, z.B. für die Teilnahme an einem internationalen Stadt-Marathon mit Rahmenprogramm.

Im Olympiajahr 1992 stand Barcelona auf der Wunschliste. Und so hieß es am Freitag, den 13. März  "Düsseldorf ade" und bereits zwei Flugstunden später:

Barça olé.

Vom Airport dann per Bus ins Zentrum zum PLAÇA DE CATALUNYA und von dort mit der Metro wieder an die Peripherie. Doch wie finde ich jetzt die ausgewählte Jugendherberge? Probieren wir doch einmal den mitgebrachten Reiseführer aus:

"¿Dónde está l’albergue Mare de Deu de Montserrat?"

Doch das einzige, was ich als Antwort verstehe, ist TAXI, obwohl bis zur gesuchten Herberge nur noch wenige Höhenmeter zu bewältigen sind.

Uneingeschränkte Motorisierung wird hier (noch) als technischer Fortschritt verstanden. Entsprechend groß ist das Verkehrschaos. Zum nahe gelegenen PARC GÜELL hat man sogar eine Rolltreppe in den Berg geschlagen, um fußkranken Besuchern den Aufstieg zu erleichtern.

Doch schließlich gelingt es mir auch ohne motorisierte Hilfe ans Ziel zu gelangen. Und es hat sich gelohnt. Die Jugendherberge ist ein Traum von einem Haus mit Säulengängen, altem Stuck und kunstvollen Glasverkleidungen. Früher eine hochherrschaftliche Residencia, jetzt im Besitz des Volkes. Està bien !

Die Gäste sind international, sprechen fast ausnahmslos Englisch und man findet auch als Einzelreisender schnell Kontakt, was in einem vergleichbaren Hotel keinesfalls selbstverständlich ist; vom Preis einmal ganz abgesehen.
 
Verständigung

Katalonien hat ca. 6 Mio. Einwohner, davon leben etwa die Hälfte in und um Barcelona.

Das Land ist zweisprachig. Die Umgangssprache der Einheimischen, das catalá, ist kein spanischer Dialekt, sondern eine eigenständige Sprache. Katalanisch wird nicht nur vom Volk gesprochen, sondern existiert auch als Literatursprache. In der Schriftform ähnelt es dem Französischen, während Klang und Aussprache sich typisch iberisch anhören.

Im Straßenbild und in Alltagssituationen dominiert eindeutig das catalá und irritiert diejenigen, die sich zu Hause mühsam einige Lektionen castellano (=offizielles Amtsspanisch) angeeignet haben und nun die Früchte ernten wollen.

Beim Umgang mit Touristen wird allerdings grundsätzlich auf castellano umgeschaltet. Die Situation ist vergleichbar mit einem Ausländer, der die deutschsprachige Schweiz bereist und von dem auch kein Schwytzer Dütsch erwartet wird.

Mit der Bahn zum Start: So hieß es 1992 mit Start in der 30 km entfernten Küstenstadt MATARó. Mittlerweile ist man zu einem Rundkurs übergegangen, der am Fuße des Mont Juic gestartet wird und dann kreuz und quer durch die Stadt führt.

Die Stimmung ist sonnig, wie das Wetter; die Temperaturen am Morgen noch angenehm und erträglich. Die Organisation hervorragend: An alles ist gedacht, von der Pinkelrinne bis zum bereit stehenden Eimer mit Melkfett. Dann der Startschuss und ein Pulk von 7000 Maratonis setzt sich in Bewegung, darunter auch ein paar skurrile Typen.

Picasso läuft mit Picasso lebt...

Einer hat sogar eine tragbare Staffelei mitgebracht und malt unterwegs ein Aquarell. Andere haben Radios mitgenommen. Der Lauf wird live übertragen, begleitet von fetziger Musik.

Auf schier endlosen Geraden geht es auf der (gesperrten) Nationalstraße 2 Richtung Barcelona, vorbei an hässlichen Vorstadtfassaden. Wer hier an der Autopiste hausen muss, ist ein armes Schwein. Wer Geld hat, wohnt weiter oben, versteckt in den Bergen.

Das Publikum ist phantastisch. Immer wieder Anfeuerungsrufe: "venga, venga ... avant" und natürlich "aigua" [aiwa], was soviel wie Wasser heißt und zum Glück reichlich angeboten wird.

Einige erkennen an meinem Trikot, dass ich aus Düsseldorf bin und rufen "gut, gut". Die Sonne steigt höher und höher, die Hitze nimmt unerbittlich zu.

Platt wie ein Pfannkuchen

... bin ich mittlerweile und das rechte Bein erinnert mich bei jedem Schritt, dass man Verletzungen besser durch Ruhepausen auskuriert als durch Zähne zusammen beißen.

Als wir bei km 29 den RIU BESOS passieren und in die Vorstadtbezirke einlaufen, überholt mich sogar der ambulante Künstler mit seiner Staffelei. Ihm scheint der Lauf gut bekommen zu sein, denn sein Bild ist fast fertig.

Picasso: La Course

Von nun an geht's bergauf

... auf den MONT JUIC, vorbei am POBLE ESPANYOL, wo tags zuvor die Marathon-Messe mit Nudelparty stattfand. Und dann endlich das Olympiastadion Ein letztes Aufbäumen ... der Zielkanal ... geschafft! Gerade noch rechtzeitig vor Zielschluss (damals 5, heute 6 Stunden).

Ein anderer Sieger aus Tansania, konnte bereits nach 2:12:46 Std. an dieser Stelle die Arme hochreißen und wurde von 20.000 Zuschauern umjubelt. Jetzt ist das Stadion fast leer und zwischen weggeworfenen Pappbechern und Plastikfolien liegen ein paar ausgemergelte Gestalten und lassen sich die Waden massieren. Die Duschen sind längst kalt, aber immerhin sind - auch für Spätheimkehrer - noch genügend Getränke da.

Aus - Basta - Finito ! Im nächsten Leben wird alles anders. Und für den Rest der Woche schlagen wir ein anderes Kapitel auf. Schließlich besteht das Leben nicht nur aus Kilometerangaben und Bestzeiten.

Am Tag danach ...

... ist die Stimmung meist etwas gedrückt. Ein Ausflug in den nahe gelegenen PARC GÜELL [gu_el] soll Besserung bringen.

Und in der Tat. Allein die Besichtigung dieses einmaligen Parks hätte schon die ganze Reise gelohnt. Angelegt von Antonì Gaudì (1852-1926), dem genialen Architekten der Jugendstil-Epoche (um 1900), auch bekannt als Modernismus, Art Nouveau oder Modern Style.

Das Ganze ist ein Protest gegen die nüchtern sachliche Bauweise des Industriezeitalters. Wohin man auch blickt: Nichts ist symmetrisch. Überall Rundungen, kleine Nischen, schwungvolle Erker und kunstvolle Türmchen auf den Dächern.

Diesen Baustil als übergeschnappte Spielerei einer krisengeschüttelten Bourgeoisie abzutun, wäre zu einfach. Gaudì selbst, dessen Wohnhaus sich in diesem Park befindet (heute Museum), pflegte einen einfachen, geradezu spartanischen Lebensstil.

 Für die kunstvollen Keramik-Mosaiken, mit denen Gaudì Formen des Surrealismus vorwegnahm, wurden aus Kostengründen ganze Wagenladungen voll Keramikabfällen und zerbrochener Fliesen verarbeitet. Das Wasser, was kaskadenförmig in Stufen hinunterfließt, wird in Zisternen aufgefangen und kann dadurch weitergenutzt werden.

Hier spiegelt sich das Grundprinzip von Gaudì wieder, jeder Arbeit und Form auch eine sinnvolle Funktion zu geben.

Diese Zweckmäßigkeit findet sich auch in den von Gaudì konstruierten Wohnhäusern wieder, z.B. Casa Battlo oder Casa Mila, erkennbar an der Wellenform der Fassade und der offenen Struktur in Form von vielen Lichthöfen. 

Sagrada FamiliaDas berühmteste Werk von Gaudì, die bislang unvollendete SAGRADA FAMILIA gilt schließlich als das Wahrzeichen Barcelonas schlechthin.

Während des CATALUNYA-Volksmarathons mussten die Teilnehmer allerdings auf derartige Ausblicke verzichten, da eine weniger spektakuläre Streckenführung gewählt wurde.

Wenn sich aber im Sommer beim olympischen Marathon das weltweite Medieninteresse auf Barcelona konzentrieren wird, liegt die SAGRADA FAMILIA (nebst Altstadt, etc) natürlich voll im Visier der Kameraleute.
Denn, so stellte die NEW YORK TIMES bereits 1976 fest:

"Die Hauptfunktion der olympischen Spiele ist es,
Fernsehunterhaltung  zu bieten"

Museo Picasso: Zur Quelle durch AnklickenWas Museen anbetrifft, so ist Barcelona mit über 35 gut bestückt; am bekanntesten vielleicht das MUSEU PICASSO, das in zwei gotischen Adelshäusern untergebracht ist und einen ausgezeichneten Einblick in die Entwicklung dieses bedeutenden Künstlers bietet.

Pablo Picasso (1881-1973) verbrachte seine Jugendjahre in Barcelona, lebte aber ab 1900 überwiegend in Paris, wo sich auch seine bedeutendsten Werke befinden.

Auch ohne die ganz großen Meisterwerke wird deutlich, wie Picasso seiner Grundüberzeugung gegen Krieg, Militarismus und Aberglaube sein Leben lang treu geblieben ist, auch wenn er in seinen künstlerischen Ausdrucksformen ständig experimentierte und sich auf diese Weise weiterentwickelte. Pablo Ruiz Picasso

Das MUSEO PICASSO liegt im Stadtteil LA RIBERA, einem der schönsten Altstadtbezirke zwischen dem PARC DE LA CIUTADELLA zum einen und der RAMBLA mit der übrigen Altstadt auf der anderen Seite. Die Gassen sind teilweise so eng und verwinkelt, dass keine Autos reinpassen, was sich positiv auf die Lebensqualität auswirkt.

Im Gegensatz dazu herrscht in den schachbrettartig angelegten Vierteln der Stadterweiterung (EIXAMPLE) mit ihren breiten Straßen ein derartiges Verkehrschaos, dass man längere Fußmärsche tunlichst vermeidet und auf die Metro zurückgreift.

Selbstverständlich verfügt Barcelona auch über ein reichhaltiges kulinarisches Angebot und über ein ausgeprägtes Nachtleben. Nur als Einzelreisender ohne fundierte Sprachkenntnisse tut man sich auf diesem Gebiet etwas schwer. Man wird als typischer Tourist gerne betuppt und findet in Bars und Restaurants nur selten interessante Gesprächspartner.

Wer jedoch bereit ist, über den eigenen Schatten zu springen und den ersten Schritt zu tun, findet auch in der modernen Großstadt noch Oasen der Menschlichkeit und nicht nur anonyme Märkte zwecks Austausch von Ware und Geld. 

Denn die wahren und unvergesslichen Highlights einer Reise sind immer noch die Dinge, die nicht käuflich sind; auch nicht für alles Geld dieser Welt.

Home, sweet home

Das Allerschönste ist jedoch die die Heimkehr... wenn man ein Zuhause hat und wenn auch die Familie sich freut, wieder einen frisch aufgeladenen Aktivisten in ihren Reihen zu haben.

Stand: 1992  -  Zuletzt aktualisiert am 13. Jul 14 von bruno{bei}reble.net