Nie wieder KriegWiederaufbau aus Ruinen

 Neubeginn in Kiel

Der 8. Mai 1945 ist nicht nur für die Familien Reble/Rönsch, sondern auch für Millionen Menschen in Europa ein Tag der Befreiung. Sie werden befreit von Terror und Unterdrückung, von Krieg, Bombenhagel und sinnloser Zerstörung. Und wenn etwas die Menschen in dieser Zeit einigt, dann die Erkenntnis:

Nie wieder Faschismus, nie wieder Krieg!

Dagegen ist das Kriegsende für die Nazis und ihre Hintermänner der Tag der Niederlage. Geschlagen sind die Generäle, die Bonzen und die Blutrichter Hitlers. Am Boden liegen die Flicks und Krupps und die anderen Konzernherren. Sie haben keine billigen Arbeitssklaven mehr, verlieren einen Teil ihrer zusammen geraubten Werke. Einige sitzen im Gefängnis als Wehrwirtschaftsführer, Menschenquäler und Kriegsverbrecher. Bis sie dann (fast) alle wie die Stehaufmännchen wieder da sind und für den Wiederaufbau der Bundesrepublik gebraucht werden.

Denn „Ärmel aufkrempeln“, heißt die Devise: „Weg mit den Trümmern!“ Und davon gibt es in Kiel besonders viele. Denn diese Stadt stand als strategisch wichtiger Kriegsmarinehafen vorrangig im Visier der alliierten Bomberflotten.

Und so gibt es auch im Architekturbüro Rotzoll viel zu tun, wo Hein Reble und Fritz Rönsch unter gekommen sind und wo sich Hein und Erika kennen lernen. Am 18. Juni 1948, unmittelbar vor der Währungsreform, wird geheiratet. Die Hochzeitsfeier wird aus dem Nichts bestritten, weil man sich für das alte Papiergeld nichts mehr kaufen kann. Denn in den letzten Tagen vor der Währungsreform zeichnen sämtliche Geschäfte sich durch gähnende Leere aus.

Money makes the world go round

 Nur ungern nimmt der Handelsmann
 statt guten Geldes Scheiße an

  Schlagartig ändert sich am 21. Juni 1948 das Bild: Überfluss, wohin das Auge schaut. Die Schaufenster und Ladenregale scheinen über Nacht vom Warenangebot über zu quellen.

Mit der Währungsreform in den 3 westlichen Besatzungszonen werden auch die Weichen gestellt für die staatliche Teilung Deutschlands, welche 1949 mit der Gründung der BRD und der DDR besiegelt wird. Pro Person gibt es in den Westzonen ein Kopfgeld von 40 Mark in neuer Währung. Davon lassen sich keine großen Sprünge machen. Gleichzeitig werden alle Schulden und Guthaben abgewertet im Verhältnis 10 RM = 1 DM.

Bei Sparbüchern beträgt die Umtauschquote lediglich 100 zu 6,5, aber wer seine Sparbücher durch die Kriegswirren retten konnte, erhält ein zusätzliches Startkapital. Bei Bruno Rönsch, dem ehemaligen Bauunternehmer aus Schlesien, sind es immerhin DM 10.000. Von diesem Geld werden in Kiel-Hassee ein Baugrundstück und Baustoffe gekauft. Mit viel Eigenleistung und einer kleinen Hypothek entsteht daraus im Verlauf des Jahres 1950 ein Häuschen für 2 Familien.Storch

Am 7 JAN 1950 haben 2 Bruno’s Geburtstag: Der Großvater seinen 62ten und der Verfasser dieser Zeilen, indem er das Licht der Welt erblickt.

Langsam geht es aufwärts, obwohl die Zeiten hart sind. Erika verdient im Büro monatlich DM 160, Hein DM 220, Bruno Rönsch als Maurer etwas mehr, während sich Oma Bertha um Klein-Bruno kümmert.

1953 zieht die Familie Reble zu Dritt nach Düsseldorf. In der Rhein-Metropole boomt es bereits kräftig und das verheißt günstigere Berufsperspektiven. Leider nicht für Erika, denn sie muss wie viele Frauen, die nach 1945 die Karre aus dem Dreck gezogen haben, nun zurücktreten an Heim und Herd: 1954 wird Renate geboren und 1956 Jürgen.

Samstags gehört Vati mir Bummel 1955 über die Königsallee in DüsseldorfDie wöchentliche Arbeitszeit beträgt zunächst 48 Stunden bei einer 6-Tage-Woche. Doch ab 1956 gelingt es - mit starken Einheits-Gewerkschaften im Rücken - Arbeitszeitverkürzungen durchzusetzen; zunächst 45 Stunden, dann 40 Stunden bei einer 5-Tage-Woche.
Links: Der DGB startet die Kampagne "Samstags gehört Vati mir", damit Vater Hein zusammen mit Filius Bruno am Samstag über die Kö flanieren kann...
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1958 kehrt Familie Reble zurück in ihr Häuschen nach Kiel, was in der Zwischenzeit zur Hälfte vermietet war.

Jetzt kommt das Wirtschaftswunder...

... mit hastigen Schritten und kräftigen Wachstumsraten. Die Einkommen folgen hinterher, nicht automatisch, sondern oft erst nach zähen Arbeitskämpfen.

Im Sommer 1962 kann zum ersten Mal ein Urlaub im Ausland gebucht werden: mit TOUROPA geht es nach Spanien, an die COSTA BRAVA.

VW Käfer1963 wird Andreas geboren.
1964 steht das erste Auto in der Garage: ein VW - Käfer. Im gleichen Jahr können die Großeltern den ersten Fernseher erwerben. Bruno Rönsch hatte Geld aus dem Lastenausgleich bekommen.

Ansonsten wird jeder Pfennig und jede freie Minute in den Ausbau des Familienheims gesteckt: Holz auf Holz, Stein auf Stein, das Häuschen wird nie fertig sein. Und auch über andere Kanäle ... fließt viel Geld in die Wirtschaft.

Der große KnallDoch 1967 kommt der große Knall. Geplatzt wie Seifenblasen sind sie auf einmal, die schillernden Träume vom goldenen Zeitalter und vom Wohlstand für Alle. Ein Gespenst geht um. Es heißt „Wirtschaftskrise“ und erschüttert das Alltagsleben der arbeitenden Menschen.

Heinrich Reble verliert über Nacht die jüngst angetretene Stelle als Bauingenieur bei der Stadt Kiel. Mit Gelegenheitsjobs wird zunächst versucht, die Familie „über Wasser“ zu halten. Da werden Zeitungen ausgetragen, Prospekte verteilt, Waren ausgefahren und die Garage vermietet.

Auch die Kinder müssen kräftig mit anfassen. Für den ältesten Sohn Bruno heißt das: morgens um 5 Uhr aufstehen, Zeitungen austragen, anschließend in die Schule; nicht gerade ein Zuckerschlecken. Auf der anderen Seite wächst unter solchen Bedingungen auch der Wille zu Veränderungen und das Bedürfnis, die Ursachen der Misere zu erkennen ... und zu beseitigen.

Es rettet uns kein höheres Wesen ...

Zeitungsverkauf in der Kieler Innenstadt Es gärt damals an vielen Orten - nicht nur an den Universitäten. Der Verfasser hat mit 18 Jahren das Glück im Herbst 1968 an der Uni Kiel mitten hinein zu geraten in diesen Strudel und dabei kräftig mit zu mischen. Jahrelang, jahrzehntelang, oft mehrere Generationen lang sind die Menschen dazu verdammt, geduldig ihr Päckchen zu tragen, das ihnen das Schicksal auferlegt.

Und dann gibt es plötzlich diese Sternstunden der Geschichte, wo das Althergebrachte in Frage gestellt wird und die Menschen ihr Schicksal selbst in die Hand nehmen, weil sie nicht länger wie Schachfiguren verschoben werden wollen.

In Vietnam leistet ein tapferes Volk erfolgreich Widerstand gegenüber der größten Militärmaschinerie der Welt, in Paris werden im Mai 68 Straßenbarrikaden errichtet und an den deutschen Universitäten wehren sich Studenten gegen Repression und den Muff von „Tausend Jahren“. Mit Demonstrationen, Teach-ins und Sit-ins wird die Politik von inneren Zirkeln auf die Straße verlagert. Die alten Autoritäten werden bis aufs Mark erschüttert. Erfolge stellten sich ein. Alles scheint machbar, wenn wir uns nur einig sind und gemeinsam handeln.

Bis weit in die siebziger Jahre hält sie an, diese Phase des Umbruchs, in der eine ganze Generation von „68igern“ geprägt wird. Damals ist ein Studium noch möglich und bezahlbar - dank staatlicher Stipendien. Denn die Auseinandersetzung zwischen den Gesellschaftssystemen spitzt sich zu. Die Bundesrepublik hat hierbei eine Schlüsselstellung. Sie muss als Schaufenster des Kapitalismus so attraktiv wie möglich gestaltet werden, um den Sieg davonzutragen im Kampf um die Köpfe der Menschen.

Deshalb sind die Herrschenden zu Zugeständnissen bereit: Ausbildungsförderung für sozial Schwache, Erhöhung der Massenkaufkraft, Vermögensbildung in Arbeitnehmerhand, Verbesserungen in der Sozialversicherung, Verlängerung des Mindesturlaubs, etc.

Trotz dieser staatlichen „Wohltaten“ ist eine Sache damals wie heute gefragt: Mobilität

Altenteil von Hein & Erika Reble in Nienborstel-Dörpstedt1969 - im gleichen Jahr als der erste Mensch den Boden des Mondes betritt - heißt es für die Familie Reble wieder einmal: Koffer packen und die Heimat verlassen: Zurück an den Rhein fährt der Möbelwagen, wo eine Arbeitsstelle bei der Stadt Bonn neue Hoffnung verspricht ... bis zum Ruhestand 1978.

Heinrich und Erika ziehen anschließend aufs Altenteil nach Mittelholstein (s. Foto).

Jürgen und Andreas bleiben in Bonn und wohnen in Schwarz-Rheindorf Haus an Haus. Jürgen ist freischaffender Künstler in der Filmbranche und verheiratet mit Christel, die als Krankenschwester arbeitet. Zwei Kinder: Paul (geb. 1987) und Knut (geb. 1990). Andreas ist Maschinenbauingenieur und arbeitet in der Energiewirtschaft. Er ist verheiratet mit Kerstin, von Beruf Erzieherin. Ein Kind: Amelie (geb. 1990).

Renate ist Studienrätin für Mathematik und Geographie und unterrichtet an einer Berufsbildenden Schule. Sie wohnt im ehemaligen Elternhaus in Kiel-Hassee und ist verheiratet mit Frank, der als Ingenieur eine Firma für Hard- und Softwareentwicklungen betreibt; zwei Kinder: Raja (geb. 1986) und Max (geb. 1993).

Bruno versucht nach Studienabschluss 1975 in Bonn Fuß zu fassen und muss sich als Akquisiteur und Versicherungsvertreter durchschlagen. 1979 gelingt ihm der Sprung nach Düsseldorf, in die Hauptverwaltung der PROVINZIAL Versicherung, Bereich Außendienst PC-Betreuung.

Er heiratet im Dezember 1980, nur wenige Monate vor einem gewissen Prinz Karl aus der großen Bretagne. Bruno’s Auserwählte ist allerdings keine vom Luxus gelangweilte Lady Dingens, sondern die recht lebendige Ulrike Schmidt, die ihren Job als Auslandskorrespondentin besser in Düsseldorf ausüben kann, als im heimatlichen Hochschwarzwald.

FriedenstaubeDie Zeiten stehen zu Beginn der achtziger Jahre auf Sturm. Vor allem in den USA werden Töne angeschlagen, die aufhorchen lassen. Das Wettrüsten zwischen den Systemen wird zusätzlich angeheizt und auf neue Rekordmarken getrieben. Die Bundesrepublik - schon zuvor ein Pulverfass mit der höchsten Atomwaffendichte der Welt - soll zusätzlich zur Abschussrampe ausgebaut werden für neue, zielsichere Erstschlagswaffen.

Die Friedensbewegung als breites parteienübergreifendes Volksbündnis hält dagegen und bekundet in vielfältigen Aktionen unseren Überlebenswillen.

Wir sind dabei

Gegen Ende der achtziger Jahre zeigen sich die ersten Konsequenzen des Wettrüstens: Dem wirtschaftlich schwächeren System geht die Luft aus. Im Oktober 1989 fällt die Berliner Mauer. Eine grundlegende Verschiebung des politischen Kräfteverhältnisses wird eingeläutet.

Die neunziger Jahre stehen wirtschaftlich zunächst im Zeichen eines Wiedervereinigungsbooms, dann zunehmend unter dem Diktat staatlicher Sparmaßnahmen und einer bedrohlich anwachsenden Massenarbeitslosigkeit. Denn ohne lästige Konkurrenz im Rücken kann der Kapitalismus die soziale Maske fallen lassen und sein wahres Gesicht zeigen.

Die Gesellschaft wird polarisiert. Ein Drittel der Bevölkerung ist gezwungen am Rande der Armut zu leben, während auf der anderen Seite das Vermögen der Reichen und Superreichen aus allen Nähten platzt.

Unsere Zukunft

Im April 1983 wird Jan geboren; im Mai 1986 kommt Janina hinzu und im November 1989 Janosch. Alle drei scheinen sich so zu entwickeln, wie wir es uns in der Geburtsanzeige gewünscht haben:

„Sie sollen in Frieden aufwachsen, fröhlich und aufgeweckt sein.
 Dafür werden wir uns einsetzen.“

Kinder sind manchmal anstrengend und fordernd. Ihre Erziehung kostet Kraft und Geduld, auch Geld. Aber ihr Veränderungswille belohnt all die Mühen. Eine Gesellschaft ohne Kinder wäre eine Gesellschaft von Mumien, ohne Saft, ohne Kraft, ohne Zukunft.

Auf dem Ochsenweg

2013: Vor genau 250 Jahren emigriert die Familie Adam Reble von Baden nach Schleswig-Holstein.
Wir folgen ihren Spuren zwischen Hamburg und Flensburg... mehr

 Was wird sein, wenn wir einmal nicht mehr sind?

Was wird aus unseren Kindern einmal werden? Gibt es genügend Arbeit, die sinnvoll ist und ihren Fähigkeiten entspricht? Werden sie in Frieden leben? Wobei Frieden nicht nur die Abwesenheit von Krieg bedeutet, sondern auch darin besteht, am helllichten Tag angstfrei über die Straße zu gehen.

Werden sie frei sein und ihr Leben im Zusammenwirken mit anderen eigenverantwortlich bestimmen können? Oder wird sich der Freiheitsbegriff auf das Gaffen, Zappen und Jetten beschränken: hin- und her gerissen zwischen Spots und Sponsoren und rastlos durch die Gegend hetzend zwischen Metropolen und Märkten. Picasso: Dame im Sessel

Wird diese Chronik einmal fortgeführt werden und um glückliche Kapitel erweitert? Oder landet irgendwann das letzte Exemplar auf dem Müll, begleitet von den Worten: „Was soll der Quatsch !“

Das Leben ist ein brutaler Lehrmeister. Wer nicht bereit ist, aus Fehlern der Vergangenheit zu lernen, ist dazu verdammt, diese Fehler auf schmerzhafte Weise zu wiederholen.

Wobei der Unterschied zwischen den Dummen und den Klugen darin besteht, dass die Dummen immer die gleichen Fehler machen, die Klugen hingegen immer wieder neue.